Neues vom Regenmantel: Überraschung

Aktualisiert am 19. September 2022

Der dunkelblaue Regenmantel mit seinen weißen Gänseblümchen ist auf der Suche nach der Richtigen, um endlich der dunklen Ladenecke zu entfliehen. Er möchte raus in die Natur, Wind und Wetter spüren, und nicht mehr diesen unvorteilhaften unifarbenen Kastenjacken den Vortritt lassen. Was dem Regenmantel auf seinem langen, oftmals einsamen Weg durch den Kopf geht? Lest selbst 😉


Überraschung

„Ding ding dong.“

O nein, nicht schon wieder so eine Kuckucksuhr. Was finden die Menschen nur so toll an denen? Haben die schon mal überlegt, wie nervig das für uns Regenmäntel und Möbel ist? Wahrscheinlich nicht. Hauptsache ihnen gefällt’s.

„Ich komme schon“, tönt es dumpf aus der Ferne.

Ein Knarzen, ein überschwängliches „Hallo“ und „Alles Gute“, hochgerissene Arme, ein „Danke“ und ein Beutel mit Geschenk drin, der zwischen zwei Körpern hin und her prallt.

Boah, was ist denn jetzt los? Stopp! Au! Ich will das nicht! Leg mich wieder hin.

„Nun komm schon rein. Der Kaffee wird kalt.“

Genau, geht ihr mal Kaffee trinken und ich ruh mich aus.

Die Falsche putzt sich die Schuhe auf dem Gänseblümchenfußabtreter ab und tritt ein. „Aber bevor wir loslegen, habe ich noch eine Kleinigkeit für dich.“ Aus ihrem Stoffbeutel zieht sie ein buntes Geschenk. „Bitte schön.“

„Ach, das wär doch nicht nötig gewesen.“

Och nö, lasst mich doch einfach in Ruhe. Ich will nicht mehr durch die Gegend fliegen. Einfach nur liegen und ausruhen.

„Mach schon auf. Es wird dir gefallen. Ganz bestimmt“, fordert die Falsche ganz aufgeregt, während sie ihre Sachen ablegt.

„Aber der Kaffee …“

„Der kann warten.“

„Na gut, dann aber schnell.“

Gemeinsam gehen sie ins Wohnzimmer. Der Kuchen steht schon auf dem Tisch. Dampf steigt aus den beiden Kaffeetassen empor.

Obwohl, raus aus diesem stickigen Papier klingt auch verlockend. Ja, das machen wir jetzt. Holt mich hier raus! Kaffee, wer braucht schon Kaffee und Ruhe, wenn er frische Luft haben kann.

„Wo hast du denn Fredi gelassen? Die Schule müsste doch schon aus sein.“

„Ach, der ist mit zu Hannes. Die beiden müssen noch ein Referat für Bio fertig machen. Wie immer auf den letzten Drücker.“

„Und das ausgerechnet heute.“

„Ach, das macht nichts. Du bist ja hier.“

Moment, „Fredi“? War das nicht das ungezogene Gör aus dem Kaufhaus, das mich immer im Kreis gedreht hat? Und war seine Mama nicht die Richtige? Bin ich jetzt etwa hier bei der Richtigen? Nein, das kann nicht sein. Fredi ist bestimmt so’n Allerweltsname.

„Genau, und deswegen möchte ich auch endlich wissen, ob du dich über mein Geschenk freust. Pack aus!“

Ja, auspacken, auspacken. Dann werden wir schon sehen, ob du meine Richtige bist.

„Ist ja schon gut.“ Sie zieht an einem Ende des Bandes, um die Schleife zu lösen. Zum Glück kein Doppelknoten, sonst hätte sie die Schere holen müssen. Bevor es ans Papier geht, wickelt sie das Band ordentlich wie auf einer Spule um ihre Finger, schnürt das Ende ein paar Mal um die Mitte und legt es auf den Tisch.

Geht es vielleicht auch ein bisschen schneller?

Als nächstes sind die Klebestreifen dran. Erst die rechte Seite. Gutes Papier. Der Klebestreifen lässt sich ohne Probleme vom Papier lösen. Das zugeklappte Ende entfalten, öffnen, reinluschern. Fragend schaut sie zu ihrer Freundin. „Häh? Etwas Dunkelblaues aus Gummi?“

Luft, Luft, das gibt es doch nicht.

Die Falsche zuckt grinsend mit den Schultern. „Du musst schon ganz auspacken.“

Richtig, dann kann ich mich auch endlich wieder entfalten.

Sie rümpft die Nase und widmet sich der linken Seite des Geschenks. Gleiches Prozedere: Erst die Klebestreifen, dann das zugeklappte Ende entfalten und reinluschern. Und auch hier erkennt sie nur ein dunkles Blau.

Durchzug, wie schön.

Sie dreht das Geschenk auf die Rückseite. Denn natürlich befindet sich auch hier noch ein zu entfernender Klebestreifen. Dann endlich kann sie das Papier aufklappen. Einmal, zweimal.

Noch mehr Luft!

„Nein, ist es das, was ich denke? Das hast du nicht wirklich getan.“ Sie streicht über das dunkle Blau mit seinen kleinen Gänseblümchen.

Nun entfalte mich doch endlich. Ich will dich auch sehen.

„Der ist doch viel zu teuer.“

„Ach Quatsch. Du hast so von diesem Regenmantel geschwärmt. Und vor allem hast du nur einmal im Jahr Geburtstag. Also freu dich lieber.“

Zu teuer? Das hättest du wohl gerne. Ich bin jeden einzelnen Cent wert. Das wirst du schon merken, wenn ich dir Wind und Regen vom Laib halte.

„Ist ja schon gut. Ich freu mich doch.“ Mit dem Regenmantel in den Händen steht sie auf und klappt ihn mit einem Wusch auseinander. Kopfüber hängt er nun vor ihr.

Was für eine Wohltat. Oje, seh‘ ich zerknittert aus. Hoffentlich verschwinden die Falten irgendwann wieder. Huch, das ist aber nett. Ja streich mich ruhig ein wenig glatt mit deinen zarten Händen. Genau und dreh mich richtig herum. Und nun lass dich ansehen. Bist du meine Richtige? Hmm, blonde Locken hast du schon mal, aber was ist das für eine graue Hose? Wo ist die Blümchenjeans? Du bist es doch nicht. Das wäre ja auch zu schön gewesen. Ja, dann mach halt meinen Reißverschluss auf. Ist okay. Probier mich an.

„Der steht dir einfach perfekt. Fehlt nur noch deine Sommerjeans.“

„Du meinst die mit den Gänseblümchen? Ist das nicht ein bisschen viel Blümchen auf einmal?“

„Ach Quatsch. Probier doch einfach mal aus.“

Was höre ich da? Gänseblümchen?

„Na gut.“ Sie verschwindet schnell ins Schlafzimmer, kramt im getragenen Wäschehaufen auf dem Stuhl vor dem Fenster und zieht hervor …

Nein, das gibt es nicht. Die Blümchenjeans. Du bist es doch. Meine Richtige!

Gesucht und gefunden: Regenmantel und Blümchenjeans

Alle Teile der Regenmantel-Geschichte auf einen Blick

Es ist erstaunlich, was ein Regenmantel auf der Suche nach der richtigen Trägerin erleben kann. Ihr seid neugierig geworden? Dann klickt und lest euch durch seine restlichen Gedanken:

3 Antworten auf „Neues vom Regenmantel: Überraschung“

  1. Dein Artikel über die „Regenmantel-Überraschung“ hat mir ein herzliches Lächeln ins Gesicht gezaubert! Es ist so erfrischend, wie du die kleinen Freuden des Lebens feierst und uns daran erinnerst, wie wichtig es ist, die Magie im Alltäglichen zu entdecken.

    1. Hallo Marcel,
      das freut mich so, dass ich dir ein Lächeln ins Gesicht zaubern konnte. Das ist genau das, was ich mir für meine Leser wünsche. Ein Lächeln und die Erkenntnis, dass es gar nicht so viel braucht, um zufrieden zu sein 🙂

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